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O Nestlé, Meine Nestlé!

„O Captain! My Captain!”

– Gedicht von Walt Whitman (1865), heute in Verbindung mit „Der Club der toten Dichter“

arvy’s Teaser: Nestlé, der Goliath des Big Food und „Blue Chip“-Kapitän der Schweiz, sieht sich einem Sturm ausgesetzt. Angesichts sich wandelnder Verbrauchertrends und des zunehmenden Drucks gegen ultra-prozessierte Lebensmittel ist die Dominanz von Nestlé in Gefahr. Unruhige Gewässer bestimmen das grösste Unternehmen der Schweiz.


“Musch ha”.

Es ist ein Schweizer Ausdruck, der beim Investieren verwendet wird.

Er wird für Aktien verwendet, für die man optimistisch ist und an eine rosige Zukunft glaubt. Oder er wird für Aktien verwendet, die immer gut gelaufen sind und höchstwahrscheinlich auch in Zukunft gut laufen werden. Letztere werden als „Blue Chips“ bezeichnet. Es handelt sich um seriöse, finanziell stabile und seit langem etablierte Firmen. Grosse Unternehmen, die jeder kennt und bei denen sich jeder sicher fühlt. Viele Finanzprofis halten sie gerne, weil es zum guten Ton gehört, im Sinne von „niemand wurde jemals gefeuert, weil er Blue Chip XYZ besitzt“.

In der Schweiz haben wir drei davon. Zwei stammen aus der Pharmabranche: Roche und Novartis.

Aber der Kapitän der Schweizer „Blue Chips“?

Ja, wer denn sonst?

Nestlé.

Chart 1: Die Geschäftssegmente von Nestlé und ihre Erträge

Source: Nestlé, Jahresbericht 2023

Big Food

Erinnerst du dich an Big Tobacco?

Dasselbe gilt für Big Food mit zwölf Unternehmen, die über 550 Verbrauchermarken besitzen (Chart 2). Obwohl du denkst, dass du viele Produkte von vielen verschiedenen Anbietern beziehst, kaufst du höchstwahrscheinlich von einem dieser Giganten.

Das Füllen von Bäuchen ist ein lukratives Geschäft.

Das liegt daran, dass 1) der zugrundeliegende Markt konjunkturresistent ist, da man immer essen und trinken muss, egal was passiert, 2) er aufgrund des weltweiten Bevölkerungswachstums und der steigenden Einkommen bis 2040 um mehr als 40 % wachsen soll und 3) Nestlé pro 10 CHF Umsatz rund 1,25 CHF Nettogewinn erzielt.

Doch was lange Zeit von den Anlegern geliebt wurde, hat sich geändert.

Die Verbrauchertrends verschieben sich, der Inflationsdruck lässt die Materialkosten steigen, und die Produktpreise können nicht einfach erhöht und an die Konsumenten weitergegeben werden, da der Wettbewerb härter wird und die Käufer leicht auf markenlose und billigere Alternativen ausweichen können.

Nestlé, das umsatzstärkste Unternehmen, bringt nur langsam neue und grosse Produkte auf den Markt, welche einen erheblichen Einfluss auf seinen Umsatz von CHF 93 Milliarden (2023) haben werden (Chart 1). Dies spiegelt sich in einem organischen Wachstum von nur 2,4 % in diesem Jahr wider, verglichen mit 4-6 % in den letzten Jahrzehnten.

Aber das ist noch nicht alles, denn die Branche sieht sich weiteren Bedrohungen ausgesetzt.

Auch hier befindet sich Nestlé an vorderster Front des Sturms.

Chart 2: Big Food – diese zwölf Unternehmen besitzen zusammen mehr als 550 Marken

Source: Quartr

Neugestaltung der Branche

Es geht um veränderte Verbrauchertrends und wachsendes Bewusstsein.

Hauptsächlich um zuckerhaltige, verarbeitete Lebensmittel, unnatürliche Inhaltsstoffe (die E’s) und die Zunahme von Krankheiten, die auf den Verzehr von ultra-prozessierten Lebensmitteln (Ultra-Processed Foods, UPFs) zurückzuführen sind.

Das Problem dabei?

Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass nicht nur ein Übermass an Zucker, Fett und Salz gesundheitliche Probleme verursacht, sondern auch die starke Verarbeitung, die bei der Herstellung der billigen Snacks eingesetzt wird. Hinzu kommt, dass die Verbraucher sie möglicherweise nicht mehr so oft essen, weil Medikamente zur Gewichtsreduzierung billiger und praktischer werden.

Beide Bedrohungen könnten die Branche umkrempeln – und das Essverhalten der Welt verändern.

Nestlé ist mittendrin im Geschehen. Die Produktpalette des Unternehmens gliedert sich in Segmente wie Tiefkühlkost (Stouffer’s mit Macaroni & Cheese oder Lasagne), kulinarische Produkte (Maggi oder Thomy), Süsswaren (KitKat oder Smarties), Molkereiprodukte und Eiscreme (Mövenpick oder Nestlé Yogurts) sowie Getränke (Nesquik, Nestea oder Nescafé) neben Wasser und Tiernahrung.

Eine Menge UPFs.

Die USA sind eine Schlüsselregion für den Umsatz (ca. 1/3) mit dem höchsten prozentualen Verbrauch an UPFs (Chart 3). Diese schmackhaften Produkte haben in den letzten Jahrzehnten zum Anstieg der Fettleibigkeit beigetragen.

Um dem entgegenzuwirken?

Nestlé will den Absatz von „kalorienärmeren, nahrhafteren“ Produkten bis 2030 um 50 % steigern, um sich für eine kalorienärmere und gesündere Zukunft einzusetzen.

Doch im Moment ist das nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Es steht viel auf dem Spiel. Der verstärkte Druck der Regierung könnte die Lebensmittelindustrie dazu zwingen, die Produktion zu überarbeiten und nicht nur die Rezepte zu optimieren oder neue Produkte auf den Markt zu bringen. Der Verzicht auf Zusatzstoffe würde die Kosten erhöhen, die Haltbarkeit verkürzen und die Gewinne schmälern.

In Anbetracht all dieser Faktoren könnten sie vor ihrer bisher grössten Herausforderung stehen.

Unser Schweizer „Blue-Chip“-Kapitän findet sich in einem Sturm wieder.

Chart 3: Durchschnittlicher Verbrauch von UPF in % der Gesamtkalorien

Source: The Economist

Geduld

Der Club der toten Dichter (1989) – erinnerst du dich an den Film?

In der Hauptrolle einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler, Robin Williams. Nach einer turbulenten Zeit wird er von der Schule gefeuert und seine Schüler wagen einen letzten Ruf an ihn, ihren Kapitän, mit ihrem berühmten „O Captain, my Captain“.

Ähnlich ergeht es derzeit Nestlé, denn Mark Schneider, seit 2017 CEO, hat Ende August in einer schwierigen Phase das Schiff aufgegeben. Trotzdem stehen die Anleger, wie die Schüler, erhobenen Hauptes zur Aktie.

Doch es scheint, als hätten wir gerade zwei Kapitäne verloren: Schneider, der Nestlé lenkte und bei seinem Amtsantritt als Held gefeiert wurde, und das Unternehmen selbst als wichtigsten „Blue Chip“. Immerhin hat es mit 17% die grösste Gewichtung im Swiss Market Index und ist damit von immenser Bedeutung für unsere Pensionskassen und das Wohl der Schweiz.

Seit 2022 ist der „Good Chart“ nicht mehr vorhanden – deshalb besitzen wir sie auch nicht -, da sie nur noch abwärts tendiert, während der Gesamtmarkt weiter steigt (Chart 4). Die angeschlagene „Good Story“ hat ihre Spuren hinterlassen.

Geduld ist gefragt, denn ein so grosses Schiff lässt sich nicht in kurzer Zeit wenden, aber wir hoffen für die Schweiz, dass sich der Sturm schnell legt oder sie es schafft, aus ihm zu navigieren.

Wir würden es schnell an einem sich verbessernden „Good Chart“ erkennen.

Aber vorerst bleibt es stürmisch und die Wolken dunkel.

Und mein Schweizer Herz blutet weiter.

Aber ich halte den Kopf hoch.

O Nestlé, Meine Nestlé!

Chart 4: Nestlé in den letzten zehn Jahren, inklusive Dividenden

Source: TradingView

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